06.06.25, 22:01:13 bis 07.06.25, 17:38:04

Anders als im Vorjahr betrug der Abstand zwischen meiner Rennsteig-Tour und den Biel100 diesmal drei Wochen. Eigentlich wollte ich nur zwei kleinere Trainingseinheiten von je etwa 12km Länge in dieser Zeit absolvieren. Aber ich war immer noch unsicher, mit welchen Schuhen ich an den Start gehen sollte. Die Sohlen meiner Vorjahresschuhe waren arg in Mitleidenschaft gezogen und ein Paar neue Trailrunning-Schuhe hatten sich als Fehlkauf erwiesen – sie saßen zwar perfekt, aber die Dämpfung erwies sich als mangelhaft. Schon der erste kurze Testlauf resultierte in Blasen. Mir des Risikos bewusst, entschied ich mich zehn Tage vor dem Start für den Kauf alternativer Trailrunning-Schuhe mit besserer Dämpfung. Um einen realitätsnahen Test durchzuführen, lief ich noch sieben Tage vor Biel eine längere Trainingseinheit von etwa 32 Kilometern. Alles zufriedenstellend! Ich würde mit den neuen Schuhen an den Start gehen.

Wie immer verfolgte ich in der Woche vor dem Start gespannt die Wettervorhersagen. Leider wurden sie von Tag zu Tag trüber, im wahrsten Sinne des Wortes. Letzter Stand: in der Nacht waren im Abstand von etwa einer Stunde zwei Gewitterregen zu erwarten, am Samstag dann im Tagesverlauf weitere, allerdings nicht sehr ergiebige Regenfälle. Dafür, schien es, war ich vorbereitet. Während der Gewitter würde ich zusätzlich zu meiner extrem leichten Regenjacke meinen kleinen Wanderschirm nutzen, um besonders eine frühzeitige Durchnässung meiner Laufschuhe zu verhindern. Für die leichteren Landregen am Samstag würde allein die Regenjacke als Schutz ausreichen. Sobald ich den Wanderschirm aufspannte, konnte ich die Wanderstöcke nicht mehr einsetzen. Um Zeit zu sparen, würde ich sie ausgefahren in einer Hand transportieren und zum Belastungsausgleich Schirm- und Stockhand laufend wechseln. Eins war klar: der Verzicht auf die Unterstützung durch die Wanderstöcke würde mich Kraft kosten und die Laufgeschwindigkeit herabsetzen.

Ankunft in der Tissot-Arena

Um kurz nach 20:00 traf ich am 6.6. in der Tissot-Arena ein. Ich zog mich um, bereitete alles vor und legte mich noch eine Weile in der Ruhezone auf die Spielfläche, wo sonst die Eishockey-Matches stattfinden.

In der Ruhezone

Unmittelbar vor dem Start war es noch trocken. Einige Teilnehmer um mich herum in der Startgasse äußerten sich vorsichtig optimistisch – vielleicht würde es doch gar nicht regnen?

Kurz vor dem Start

Wie in den vergangenen Jahren führte die Strecke quer durch die Stadt, und kurz vor Bellmund begann der Regen. Anfänglich noch wenig intensiv nahm er an Stärke schnell zu und bereits beim folgenden langen Anstieg musste ich zum Schirm greifen und somit auf Stockunterstützung verzichten.

Anstieg hinter Bellmund – schon im Regen

Von der Anhöhe zurück Richtung Biel zeigte sich im Lichtschein der Stadt ein mit dunklen Wolken verhangener Himmel.

Blick zurück Richtung Biel

Und der Regen blieb, nahm an Stärke kaum ab und es hatte den Anschein, als dass eine wahre Kette von Gewittern über uns hinwegzog. Stundenlang ging es so weiter. Bei der Verpflegungsaufnahme unterwegs hatte ich Mühe, mit Schirm und Stöcken zu hantieren und gleichzeitig schnell einen Becher Iso-Getränk und ein Stückchen Banane zu mir zu nehmen.

Verpflegung fassen im Regen

Oberstes Ziel meinerseits war es, mit dem Wanderschirm meine Laufschuhe zu abzudecken. Aber der zum Teil böige Gewitterwind machte dies nicht immer einfach. Außerdem konnte ich mich so nicht vollständig vor dem Regen schützen. Im Verlaufe der Stunden merkte ich, dass ich an Beinen und Armen zusehends durchnässt war.

Dann kam Oberramsern in Sicht. Es dämmerte und endlich nahm der Regen ab. Mir wurde bewusst, dass ich vor Kälte zitterte, meine Finger, die Stöcke und Schirm halten mussten, wie nach einem Eisbad weiß anliefen. Wie zur Bestätigung sah ich im Unterstand der Verpflegungsstation einige Teilnehmer, in Alufolien gehüllt, die hier das Rennen aufgegeben hatten.

Oberramsern kommt in Sicht – noch immer Regen

Hatte der Kampf gegen Regen und Kälte schon viel Kraft gekostet, verlangte trotz Abflauen der Niederschläge nun der Weg vollste Aufmerksamkeit. Gerade die Feldwege waren verschlammt und mit tiefen Pfützen bedeckt. Nach knapp vierzig Kilometern bereits mit nassen Füßen weiter zu laufen, wollte ich unter allen Umständen vermeiden.

Bei Tagesanbruch – Weg unter Wasser

Zwar zeigte sich die Sonne auf den nächsten Kilometern kaum, aber zumindest der Regen pausierte und der Himmel wurde heller. Nicht zuletzt um den Körper mehr Wärme produzieren zu lassen, versuchte ich jetzt, wieder mit Hilfe der Wanderstöcke, mein Tempo zu steigern. Im Nachhinein zeigte sich, dass ich auf dieser Passage wirklich am schnellsten unterwegs war. Wieder recht optimistisch passierte ich die 50-km-Markierung.

Halbzeit!

Wenig später dann überquerte ich bei Kirchberg die Autobahn und wenig später die Emme. Durch die Starkregen der vergangenen Nacht war der Fluss angeschwollen, das Wasser durch die Schlammlast rot-bräunlich gefärbt. Später konnte ich nachlesen, dass innerhalb weniger Stunden im Seeland über 30 mm Niederschlag gefallen waren, statistisch ein gutes halbes Monatsmittel!

Emme-Hochwasser bei Kirchberg

Bei der Verpflegungsaufnahme in Kirchberg nach etwa 58 Kilometern Wegstrecke fiel es mir wieder auf, dass ich kaum Appetit hatte. Dabei musste ich dringend Kalorien aufnehmen, um bei Kräften zu bleiben! Doch hatte ich mir fest vorgenommen, erst nach circa 80 Kilometern zu Energy-Gel zugreifen. Sobald ich damit angefangen hatte, würde der Körper jegliche andere Nahrung verweigern, das wusste ich aus Erfahrung. Also würgte ich stückweise einen halben Müsli-Riegel hinunter.

Auf dem Emmendamm

Dann unterwegs auf dem Emmendamm, rumorte es in Magen und Darm. Ich hatte einige Kohletabletten geschluckt, um nicht zu schnell eine der Toilettenkabinen aufsuchen zu müssen. Parallel interpretierte ich beginnende Muskelschmerzen besonders in den Waden als Magnesiummangel und nahm deswegen entsprechende Mineral-Präparate ein, die wiederum die Verdauung anregen würden.

Im Abstand weniger Kilometer musste ich dann zweimal eine der ominösen Kabinen aufsuchen. Sie präsentierten sich sehr viel reinlicher als von mir befürchtet. Trotzdem verlor ich viel Zeit und befürchtete weitere Verdauungsprobleme auf der Reststrecke.

Ich merkte, dass ich zusehends langsamer wurde. Würde ich gar die Schließzeit in Bibern bei Kilometer 79 nicht einhalten können? Am Eingang des kleinen Ortes gab es eine Zeitnahme, aber ich konnte das charakteristische Piepsten nicht hören, als ich vorbeilief. Nervös fragte ich bei den Organisatoren vor Ort nach, aber sie fanden mich auf ihrer Liste, einsehbar auf dem Smartphone. Wieder beruhigt konsumierte ich plangemäß mein erstes Päckchen Energy-Gel und machte mich an den langen Anstieg Richtung Arch. Prompt setzte Regen ein und wurde schnell so stark, dass ich wieder zum Schirm griff und damit auf den Stockeinsatz erneut verzichten musste. Also doch kein leichter Landregen wie von mir aufgrund der Wettervorhersage vermutet!

Kaum ging es wieder bergab, hörte der Regen auf und als ich entlang der Aare Richtung Büren marschierte, jetzt wieder mit Hilfe der Stöcke, plötzlich gar Sonnenschein. Die kräftige Juni-Sonne und die komplette Durchnässung des Bodens erzeugten schnell eine Treibhausatmosphäre und ich musste anhalten und meine Regenjacke verstauen, die ich seit Beginn des Rennens fast ununterbrochen getragen hatte. Auch hier hieß es weiter, verschlammten Wegbereichen auszuweichen.

Kurz vor Büren – weiter verschlammte Wege

Nach Büren dann eine letzte Querung der Aare und es kam die 90-Kilometer-Markierung in Sicht. Ich bemerkte bei mir zunehmende Schwäche und Konzentrationsprobleme. Fast unbewusst trottete ich weiter, nahm den letzten größeren Anstieg vor der abschließenden Verpflegungsaufnahme in Pieterlen. Wieder zwangen mich akute Verdauungsprobleme zu einer Toilettenpause und eine Gruppe von Teilnehmern konnte mich passieren.

Fünf Kilometer bis zum Ziel – ich lief, oder besser schritt, wie in Trance. Versuchte, nicht nach der nächsten Kilometermarkierung Ausschau zu halten und heftete meinen Blick auf den Boden. Endlich kam die Bahnunterführung in Sicht, und die Tissot-Arena auf der anderen Seite versprach ein Ende der Anstrengungen. Wie um mir und anderen meine Fitness zu demonstrieren, nahm ich Stöcke und Sonnenhut in die Hand und überquerte schließlich fast leichtfüßig die Ziellinie.

Noch nie hatte ich so lange für die 100 Kilometer gebraucht. Noch nie fühlte ich mich danach so erschöpft. Brutal – so qualifizifierte ich spontan das Rennen. Aber schon an Tag danach begann ich mit der Analyse und überlegte, wie ich bei Vorbereitung und Durchführung besser werden könnte.

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