Mit Wanderstöcken unterwegs auf den Biel 100 km – 2024
07.06.24, 22:01:37 bis 08.06.24, 16:14:05
Als ich heute Samstagmorgen bei strahlendem Sonnenschein in Basel erwachte, erinnerte mich ein leichtes Ziehen in Waden- und Oberschenkelmuskulatur daran, dass ich vor genau einer Woche zu dieser Zeit auf den Biel100 unterwegs war. Kurz nach 8:30 steuerte ich der 60-km-Markierung auf dem Emmendamm zu. Ehemals berüchtigt als „Ho-Chi-Minh-Pfad“, mit vielen querlaufenden Wurzeln und gerade nach Regen mit Pfützen gespickt, hatte dieser Wegabschnitt durch Umbau und teilweise Verlegung jetzt einen eher idyllischen Charakter bekommen.
Aber zurück zum Freitag, den 7. Juni. Wie immer würde der 100-Kilometerlauf um 10:00 Uhr abends starten. Und wie immer war ich den ganzen Tag über nervös, obwohl ich bereits das achte Mal an dem jährlich neu aufgelegten Rennen teilnehmen würde.
Ein Arbeitskollege hatte mich 2014 auf dieses Laufformat aufmerksam gemacht. Ich hatte ihm erzählt, dass ich gerne lange Wanderungen unternehme (z.B. am Rennsteig in Thüringen) und auch einmal einen Wettkampf in dieser oder einer ähnlichen Kategorie bestreiten würde. Ich erkundigte mich danach bei der Organisation, ob eine Teilnahme mit Wanderstöcken erlaubt sei und bekam einen positiven Bescheid. Obwohl leidlich gut in Form durch regelmäßige, wenn auch vergleichsweise kurze Wanderungen, unterschätzte ich die Notwendigkeit einer guten Einteilung des Rennens. Ich ließ mich von den Läufern mitziehen und passierte bereits nach zwei Stunden die 15-km-Markierung. Diesen Schnitt von 7,5 km pro Stunde konnte ich natürlich nicht durchhalten. Bei Kilometer 38,0 lag meine Durchschnittsgeschwindigkeit immer noch bei knapp über 6 km pro Stunde, doch dann kam der Einbruch. Völlig erschöpft langte ich in Kirchberg an und musste das Rennen bei Kilometer 56 aufgeben.
In den Folgejahren klappte es dann besser. Ich gewöhnte mir an, speziell in den Wochen vor dem Rennen längere Streckenwanderungen als Training durchzuführen. Besonders zielführend hier der Weg entlang der Wiese von Basel nach Zell im Wiesental. Etwa 32 Kilometer lang, leicht bergauf führend, entsprechen Profil und Bodenbeläge weitgehend dem Muster der Biel-Strecke. Eine lange Steigung bei Schopfheim ließ mich mich für zwei, drei ähnliche Abschnitte auf dem Biel-Kurs üben.
Neben dem Training stellte sich die Frage nach der geeigneten Ausrüstung. Zunächst startete ich mit leichten Wanderstiefeln und meinem 22-Liter-Wanderrucksack. Damit optisch nicht unähnlich den Startenden aus den Einheiten des Schweizer Militärs. Zusehens aber warf ich schrittweise Ballast ab: Lauf- bzw. Trail-Running-Schuhe wurden verwendet, ein extrem leichter Laufrucksack mit Trinksystem angeschafft.
All dies führte dazu, dass ich zwischen 2015 und 2019 regelmäßig das Ziel erreichte und 2018 mit 18:38:37 meine bisherige Bestzeit erreichte.
Dann führte die Covid19-Epidemie zur Absage des Rennens 2020. Im Folgejahr konnte das Rennen wieder stattfinden, allerdings auf einem mehrmals zu durchlaufenden Rundkurs. Das interessierte mich weniger, entsprach nicht dem von mir so geschätzten Charakter eines „Volkslaufes“ mit vielen Kontakten zwischen Läufern und den Bewohnern des Seelandes, die auch die weiter hinten platzierten Teilnehmenden immer wieder aufmunternd anfeuerten. Da ich 2022 infolge eines parallel liegenden privaten Termins nicht teilnehmen konnte, war es 2023 dann fast vier Jahre her, dass ich das letzte Mal die 100 km absolviert hatte. Konzentriertes Training in den zwei Monaten vor dem Lauf – und ich konnte mit einer Zeit von 18:40:22 fast an meine Bestzeit herankommen.
Also hätte ich dem Event 2024 einigermaßen entspannt entgegen blicken können. Das Training besonders auf der Strecke nach Zell hatte ich bereits Ende März gestartet und ich fühlte mich im Mai recht fit. Doch aus Termingründen musste ich meinen jährlichen Rennsteig-Trip auf Ende Mai verschieben. Damit lagen nur zwei Wochen zwischen den Biel100 und einer anspruchsvollen Wanderung mit knapp 170 Kilometern Länge und wohl weit mehr als 3000 Höhenmetern. Nicht ganz überraschend hatte ich noch direkt vor dem Start in Biel Knieprobleme.
Neben den schon in den Vorjahren verwendeten Kompressionsstulpen wollte ich eine Kompressionslegging verwenden, von der ich mir zusätzliche Stützwirkung für Oberschenkel- und Kniebereich versprach. Aus leidvoller Erfahrung wusste ich auch, dass ich am Tag des Rennens entgegen anfänglicher Überlegungen eher weniger als mehr essen sollte. Also besser ein leichtes Nudelgericht als einen großen Teller vermeidlich kräftigender Spaghetti-Bolognese. Verdauungsbeschwerden hatten mich bereits einmal fast zum Abbruch gezwungen.
Am 7. Juni verließ ich gegen 18:30 unsre Wohnung und machte mich auf nach Biel. Wie schon im Vorjahr befand sich der Start-Ziel-Bereich bei der Tissot-Arena, etwa fünf Kilometer außerhalb des Zentrums. Anders als in Vor-Corona-Zeiten musste ich so am Bahnhofs-Vorplatz erst einmal einen Bus nehmen, um zum Startbereich zu gelangen. Eine Reihe anderer Läufer waren mit mir unterwegs, so dass ich wohl die richtige Linie genommen hatte. Die Tissot-Arena ist ein mächtiger Betonzweckbau – nicht schön, aber mit recht modernen sanitären Anlagen ausgestattet. Zwanzig Minuten vor dem Rennbeginn dann eine lange Schlange vor der Herrentoilette. Ein Zeichen, dass auch diesmal männliche Teilnehmende in der Mehrzahl waren.
Als der Countdown schon lief, schaute ich nochmals in den Himmel. Die Wettervorhersage hatte für den kommenden Morgen und Tag zum Teil kräftige Schauer vorhergesagt. Aus diesem Grund hatte ich auch meinen Wanderschirm im Gepäck. Aber bereits jetzt zogen dunkle Wolken vorüber und es wehte ein frischer, böiger Wind. Fünf Minuten vor dem Start zog ich dann kurzentschlossen meine sehr leichte Regenjacke über, mehr als Kälte- denn als Regenschutz.
Nach dem Start ging es dann zunächst in Ost-West-Richtung fast zehn Kilometer durch das Stadtgebiet von Biel. Ein Großteil der Bevölkerung schien in den unzähligen Cafés und Restaurants einen geselligen Abend zu verbringen. Daneben auch viele Leute an der Strecke, Kinder die die Läufer und Läuferinnen abklatschen wollten.
Auf den folgenden Kilometern hatte ich manchmal den Eindruck, dass die Streckenführung geändert wurde, weil ich bestimmte Passagen nicht erkannte. Ansonsten fühlte ich mich gut, meine Knie schienen „zu halten“.
Dann etwa bei Kilometer 30, direkt an einer Verpflegungsstation, wie aus heiterem Himmel ein Platzregen, der wohl zehn bis fünfzehn Minuten andauerte. Die Mitnahme des Schirms hatte sich jetzt schon gelohnt und ich versuchte, besonders meine Schuhe zu schützen. Leider konnte ich, solange sich der Schirm in einer Hand befand, die Wanderstöcke nicht benutzen. Um vorzeitige Ermüdung eines Armes oder einer Schulter vorzubeugen, wechselte ich ständig Schirm- und Stockhand. Sobald ich sicher war, dass der Regen aufgehört hatte, musste ich kurz stoppen, um den Schirm wieder im Rucksack zu verstauen. Glücklicherweise war das Prozedere nur noch zwei weitere Male vonnöten und die Stärke der Niederschläge nicht vergleichbar mit dem nächtlichen Starkregen.
Nachdem ich Oberramsern passiert hatte, begann es zu dämmern. Nebelbänke zeugten vom Regen der vergangenen Nacht. Als es hell genug war, stoppte ich kurz, verstaute die Stirnlampe im Rucksack, ersetzte Base-Cap durch Sonnenhut und trug Sonnencreme auf Gesicht und Hals.
Einige Kilometer weiter dann der Sonnenaufgang – es versprach ein zumindest teilweise sonniger Tag zu werden.
In guter Stimmung konnte ich „Bergfest“ feiern, die 50-km-Markierung kam in Sicht!
Dann gegen 8:00 erreichte ich Kirchberg, den wohl am weitesten von Biel entfernten Punkt der Strecke. Zwar hatte ich mit Hilfe des Wanderschirms meine Schuhe vor völliger Durchnässung schützen können, aber ich spürte trotzdem, dass Strümpfe und Schuhe feucht waren. Deshalb öffnete ich vorsichtig die Schuhe und zog möglichst langsam die Strümpfe aus, um meine Tape-Bandagen an Zehen, Ballen und Fersen nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen.
Ein kurzer Blick genügte: die Feuchtigkeit hatte dafür gesorgt, dass meine Füße ständig etwas in den Schuhen hin- und her rutschten. Wenig überraschend hatten sich bereits leichte Blasen gebildet. Durch zusätzliche Tape-Schichten versuchte ich den entsprechenden Stellen besonders an den Fußballen mehr Dämpfung zu verschaffen. Wie sich dann am Ziel zeigte, war ich damit recht erfolgreich.
Auch wenn die folgende Wegstrecke am Emmendamm zum Teil etwas eintönig wirkte, boten sich zwischendurch auch immer wieder schöne Ausblicke auf die Emme und den fast ursprünglich wirkenden Uferbereich.
Was mich an den nächsten Verpflegungsstationen dann beunruhigte, war die spärliche Ausstattung mit Getränken und Nahrung. An einer Station gab es buchstäblich nur noch Wasser und Brot. Infolge meines mit isotonischem Getränk gefüllten Trinksystems und einigen mitgebrachten Energy-Riegeln konnte ich diese „Durststrecke“ durchstehen.
Zwischendurch Sommerimpressionen…
…und dann ein unfreiwilliger Halt an der Bahnstrecke in Lüterkofen.
Später war ich dann doch froh, knapp vor Streckenkilometer 80 Bibern zu erreichen. Wie in den Vorjahren fand ich ein reichhaltiges Angebot an der Verpflegungsstation vor. Auch die mobilen Toiletten tip-top gepflegt!
Den langen Aufstieg hinter Bibern im Auge beschloss ich, meinen langen Endspurt zu beginnen. Auf den letzten zwanzig Kilometern wollte ich bei jeder Rast ein Päckchen Energy-Gel mit entsprechender Flüssigkeitsmenge zu mir nehmen. Bewusst hatte ich bislang auf Gel verzichtet, wohl wissend, dass der Körper bzw. der Verdauungsapparat dann keine andere Nahrung mehr akzeptieren würde.
Auf den nächsten Kilometern konnte ich mein Tempo leicht erhöhen oder zumindest konstant halten. Andere Teilnehmende wurden eher langsamer und ich überholte eine Reihe von ihnen. In Büren dann die Überquerung der Aare, die überdachte Holzbrücke nutzend.
Die letzten 12-13 Kilometer der Strecke wichen nun vom Vor-Corona-Verlauf ab. Ziel war eben nicht mehr das Stadtzentrum von Biel in Flussnähe, sondern die Tissot-Arena weitab der Aare. Es ging wieder bergauf und dann, kurz nach der letzten Rast an der Verpflegungsstation Pieterlen, kam dann die 95-km-Markierung in Sicht. Nun wurde jeder verbleibende Streckenkilometer separat angezeigt und die Entfernung zwischen zwei Markierungen schien mit Annäherung an das Ziel jeweils ein Stück weit zuzunehmen.
Endlich dann die 99-km-Markierung an der Eisenbahnstrecke Delémont – Biel!
Noch eine letzte Überholung kurz vor der Eisenbahnunterführung und die Arena kam in Sicht. Wenig später konnte ich auf die Gerade vor dem Stadion einbiegen und überquerte die Ziellinie nach 18:12:28 – neuer persönlicher Rekord.
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