Mein Rennsteigtagebuch - Mai 2024
23.05.24, 07:31 bis 25.07.23, 09:18
Wie im vergangenen Jahr wollte ich meinen kurzen Aufenthalt in Eisenach vor Beginn der Rennsteig-Wanderung dazu nutzen, eine Sehenswürdigkeit zu besuchen. Letztlich auch eine Ablenkung von den Gedanken, die trotz jahrelanger Erfahrung um die Wanderung kreisten. Die Witterung immer anders, die persönliche Befindlichkeit variierend, gab es jedes Mal Grund, über Ausrüstung und Ernährung zu brüten.
Also diesmal das „Lutherhaus“. Sehr zentral gelegen, hatte man hier ein Museum eingerichtet, dass Leben und Wirken des Reformators darstellte. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit befand sich hier während seiner Schuljahre für einige Zeit seine Unterkunft, seine Studierstube kann besichtigt werden.
Zurück im Hotel bot sich mir dann, aus dem Fenster schauend, der Blick auf die Wartburg. Ich würde sie am morgigen Tag dann weiträumig umwandern.
Nach einer vergleichsweise entspannenden Nacht fuhr ich wie gewohnt am kommenden Morgen mit der Regionalbahn Richtung Bebra. In Hörschel am Rennsteigbeginn das übliche Foto, und dann brach ich auf…
Zwar war es jetzt trocken, doch die intensiven Regenfälle der vergangenen Tage hatten ihre Spuren hinterlassen. Der Blick von der ersten Anhöhe zeigte die umgebenen Täler in Nebel gehüllt.
Die Wege z.T. recht morastig. Trotzdem eine Augenweide die mächtigen Buchen am Wegesrand.
Bei Kilometer 5,0 eine kurze Pause, bevor es entlang von Feldern und Wiesen zum kleinen Ort Clausberg ging. Hier erwarteten mich neugierige Ziegen, die sich offenbar in ihrem Gehege langweilten und dankbar für die Abwechselung waren.
Nachdem ich beim Vachaer Stein die Bundestrasse überquerte, folgte anschließend für die nächsten Kilometer ein ständiges Auf und Ab. Ich musste daran denken, dass für den gesamten Rennsteig sehr unterschiedliche Angaben über die Anzahl der Höhenmeter zu finden sind. Sicher ist, dass von Hörschel als niedrigstem Punkt zum Großen Beerberg als höchstem Punkt eine Differenz von knapp 800 Metern zu meistern ist. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit: die Schätzungen über die Summe sämtlicher Steigungen liegen zwischen 2000 bis 7000 Metern. Typisch für ein fraktales Messproblem – je genauer man hinschaut, desto höher das Ergebnis!
Gerade in diesem Bereich eines sehr bewegten Profils werden die Verläufe des Rennsteigs für Wanderer und Biker mehrfach auseinander gesteuert.
Manchmal wurde ich als Wanderer etwas neidisch, wenn ich die ausgeglichene Streckenführung für Fahrräder, meist auf Forstwegen, mit derjenigen für Fußgänger verglich. Besonders wenn es in halb zugewachsene Passagen ging, wo die durchnässte Vegetation und der aufgeweichte Boden eine Herausforderung für die Goretex-Membranen der Wanderschuhe darstellte.
Am Imbiss direkt vor der Querung der von Eisenach kommenden Bundesstraße wie gewohnt eine etwas längere Rast bei Kaffee und Kola. Wie ich es mir vorgenommen hatte, lüftete ich nach knapp 15 Streckenkilometern zum ersten Mal meine Schuhe aus – keine Blasen oder Druckstellen an den Füssen, das beruhigte mich.
Langsam änderte sich jetzt der Charakter der Wanderung. Der Weg wurde steiniger, führte eher stetig bergauf und ringsum erstreckten sich – ehemals – ausgedehnte Nadelbaumbestände. Durch eine stetige Abfolge aus Windwurf, Dürre und Borkenkäferbefall hatte der Wald so gelitten, dass sich die Forstämter zu flächenhafter Abholzung entschieden. Auf den momentan fast kahlen Flächen soll ein in jeder Hinsicht widerstandsfähiger Mischwald heranwachsen. Einige dabei verfolgte Konzepte werden auf Schautafeln erläutert.
Kurz bevor der Weg, nachdem zeitweise eine Höhe von 700 Metern erreicht war, Richtung Schillerbuche wieder etwas abfällt, passierte ich eine schön gepflegte Schutzhütte, die mir schon in den vergangenen Jahren positiv aufgefallen war. Anderenorts zu anderer Tageszeit hätte ich mich sehr über eine so komfortable Rastmöglichkeit gefreut!
Danach folgte der lange, z.T. recht beschwerliche Anstieg zum Großen Inselsberg. Anders als im vergangenen Jahr wollte ich diesmal auf die frühzeitige Einnahme von Energy-Gel verzichten und quälte mich ohne besondere Unterstützung hinauf. Nach üblicher Pause mit Kuchen und Kaffee ging es den Steilhang auf der anderen Seite hinunter.
Fast 200 Meter den Berg hinab – es tat fast weh, weil ich diese Höhe dann später wieder gewinnen musste! Aber zunächst lagen noch längere Wegstrecken fast ohne Steigung vor mir. Sehr malerisch wie immer die Ebertswiese.
Bei der Neuen Ausspanne, Kilometer 47,5, bot die Sanitäranlage die Möglichkeit zur Auffüllung der Wasservorräte. Zwar nicht für Kleinkinder geeignet, warnte ein Schild, doch ich hatte hier niemals Probleme bekommen. Damit reduzierte sich die Distanz bis zu meiner nächsten „Nachfüllmöglickeit“ in Neustadt auf ca. 43 Kilometer – für diese Wegstrecke hatte ich nun 3 Liter zur Verfügung. Bei den doch mäßigen Temperaturen sollte dies ausreichen.
Es begann langsam die erste Nacht, und ich wusste, dass jetzt ein langer Anstieg zum Sperrhügel vor mir lag. Fast drei Kilometer kontinuierlicher Steigung – da griff ich dann doch zum ersten Energy-Gel.
Nach kurzer Rast und „Fußentlüftung“ nahm ich den Weg wieder auf. Bewusst schaltete ich frühzeitig die Stirnlampe ein. Ich vermutete, dass speziell der Wegabschnitt bis nach Oberhof nach den Regenfällen der Vortage schlammig werden würde. Teilweise musste ich über unwegsames Gelände den Wasserlöchern ausweichen, die den gesamten Weg versperrten. Ein Fehltritt konnte hier leicht Durchnässung der Schuhe bedeuten – und über 100 Kilometer lagen noch vor mir!
In einer kleinen Hütte unmittelbar an der Grenzadler-Kaserne in Oberhof wollte ich, traditionell, meine erste nächtliche Ruhe- und Liegepause von ca. einer Stunde genießen. Doch plötzlich kam ich an eine Absperrung: der Rennsteig führte hier nicht weiter, jenseits der Sperre war der Weg ausgebaggert. Ein fast zwei Meter tiefer Graben soll wohl eine Versorgungsleitung aufnehmen. Ein kleines Schild verwies auf eine Umleitung, aber bei Nebel und völliger Dunkelheit war nicht erkennbar, wo es hingehen sollte. Was nun? Da ich wusste, dass es nur noch wenige hundert Meter bis zu meiner Hütte sein konnten, überstieg ich kurzentschlossen die Absperrung und balancierte auf dem matschigen Grabenrand entlang des „Originalwegs“. Ziemlich verdreckt langte ich schließlich in der Hütte an, zog die Schuhe aus und döste eine Weile in meiner Alufolie.
Den kommenden Abschnitt des Weges bis zum Großen Beerberg kannte ich als „Nebelloch“ und wieder war es eine Herausforderung, mit Stirn- und Handlampe die Orientierung zu behalten, auch weil erneut Baustellen mit unklaren Umleitungsempfehlungen passiert werden mussten. Die unzähligen Nebeltropfen streuten das Licht und die notwendige Konzentration auf Markierungen und Wegverlauf ermüdete zusätzlich. Endlich dann kurz vor 3 Uhr morgens Ankunft bei „Plänkers Aussicht“, dem höchsten Punkt des Rennsteigs.
Ein recht eintöniger, langgezogener Abstieg führte mich zum Rennsteig-Bahnhof. Schon mehrmals hatte ich hier nahe Schmiedefeld aus verschiedenen Gründen meine Wanderung beenden müssen. Aber diesmal würde ich weitermachen und bereits im hellen Tageslicht erreichte ich „Allzunah“, eine der kleinsten Gemeinden Thüringens.
Später konnte ich im kleinen Supermarkt in Neustadt einen Kaffee trinken und meine Vorräte ergänzen. Wenige Kilometer später würde kurz vor Masserberg der steile Aufstieg zum Fehrenberg vor mir liegen – schier kein Ende nehmende steinige Hohlwege waren zu durchwandern. Also wieder ein Beutel Energy-Gel als Vorbereitung auf diese Passage, und los ging es. Wenig später der ebenso steile, aber wegsamere Abschnitt zur „Rennsteigwarte“, bei dem der Effekt des Gels noch nicht abgeklungen war.
Oben angekommen setzte starker Regen ein und ich öffnete meinen Wanderschirm. Nicht sehr angenehm, besonders in steilem Gelände: in einer Hand die Stöcke, in der anderen der Schirm. Weiter marschierte ich unter diesen Bedingungen bis kurz vor Limbach.
Noch zwei kräftezehrende Anstiege vor Neuhaus lagen vor mir und ich beschloss, eine weitere Dosis Energy-Gel zu verwenden. Kaum auf der ersten Höhe angelangt, dann ein wahrer Platzregen. Ich beschloss etwas zu warten, aber als auch nach einer Viertelstunde keinerlei Anzeichen auf ein Abflauen des Regens sichtbar wurden, machte ich mich wieder auf den Weg. Mit Stöcken und Schirm in den Händen sprang ich auf den abschüssigen Hohlwegen von Stein zu Stein, immer in der Befürchtung, durch einen Fehltritt meine Schuhe völlig zu durchweichen.
Endlich in Neuhaus dann die gewohnte Pause an der Tankstelle, mit Kaffee und belegtem Brötchen. Zum Glück hatte es aufgehört zu regnen. Ich kaufte noch Eistee und machte mich recht schnell wieder auf den Weg. Es waren mit gewisser Wahrscheinlichkeit Gewitter vorhergesagt und ich hatte einmal eine ungemütliche Zeit bei Blitz und Donner auf dem folgenden Wegabschnitt verbracht.
Das wollte ich möglichst nicht noch einmal erleben und versuchte, den Gipfelweg bis Spechtsbrunn zügig zu durchwandern. Richtung Bayern türmten sich wahre Wolkengebirge, aber es blieb trocken.
Nach dieser Wetterberuhigung sah ich der zweiten Nacht entspannter entgegen.
Die Frankenwald-Hochstraße erreichte ich noch in der Abenddämmerung und kurz vor Mitternacht dann Steinbach am Walde. Anders als gewohnt war der sogenannte „Wasserscheiden-Obelisk“ nicht beleuchtet, so dass ich das Ende der mühsamen Wanderung entlang der Schnellstraße mit dauernder Blendung durch schnell fahrende Autos erst spät registrierte. Zum Glück fand ich ausgangs von Steinbach recht schnell den etwas versteckten Rastplatz: leider keine Hütte, sondern nur eine überdachte Bank, allen Seiten dem Wind geöffnet. Ich zog alle verfügbare Kleidung an und fror doch in meiner Alu-Hülle.
Deswegen stand ich vorfristig auf und stieg bergan, um bei Kilometer 143,5 dann in den Abschnitt einzubiegen, der zu den unwegsamsten des Rennsteigs gehört. Zuerst noch einem Forstweg folgend, zweigt der Rennsteig dann in ehemaliges innerdeutsches Niemandsland. Der Weg wird zum schmalen Pfad, Wegmarkierungen existieren nicht mehr. Wahrscheinlich dachte man sich, dass hier ein Verlaufen aufgrund des undurchdringlich wirkenden Dickichts rechts und links keine Gefahr darstellt. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich die etwa 1,5 Kilometer bis zum Verlassen dieses unübersichtlichen Teilstücks geschafft. Im Dunkeln noch erkennbar, der Plattenweg für die Patrouillenfahrten der ehemaligen DDR-Grenzwachen.
Wenige Kilometer weiter an einem Hügelanstieg war ich der Verzweiflung nahe: in unübersichtlichem Gelände waren offenbar etliche Markierungsbäume gefällt worden. Pfade und pfadähnliche Holzabtransportgassen liefen wild durcheinander. Ich überlegte, bis zur Morgendämmerung zu warten, fand dann aber mit Glück wieder eine Markierung. Das Spiel wiederholte sich mehrmals und ich verlor sicher eine halbe Stunde Zeit.
Später, fast schon im Sonnenschein, war ich dann zu leichtsinnig oder besser gesagt zu unkonzentriert. Am Kulmberg verpasste ich die eigentlich recht gut beschilderte Abzweigung Richtung Schlegel und trottete weiter bergab einen Forstweg entlang. Erst allmählich dämmerte mir, dass ich falsch unterwegs war. Ein leider verspäteter Blick auf „Google Maps“ zeigte, dass ich fast einen Kilometer wieder aufsteigen musste. Bei Kilometer 162 wirklich eine physische und psychische Belastung!
Dann in Schlegel angekommen schaute ich auf die Uhr: konnte ich noch unter dem selbstgesetzten Limit von 50 Stunden für die Durchwanderung des gesamten Rennsteig bleiben? Sehr fraglich! Ich beschloss, bis Blankenstein nicht mehr die Zeit zu kontrollieren, und dabei ruhig und möglichst zügig mein Ziel anzusteuern. Am Ende hat es doch geklappt – sogar einige Minuten schneller als im Juli 2023 erreichte ich um 9:18 die Saale.
This work is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License.