Mein Rennsteigtagebuch - Mai 2023
11.05.23, 07:31 bis 12.05.23, 13:30
Der Zeitpunkt schien ideal – Anfang Mai, keine intensiven Niederschläge waren vorhergesagt und ich hatte meine Ausrüstung in zwei wesentlichen Punkten verbessert, wie ich glaubte. Nachdem ich im Vorjahr bei allerdings schwül-warmen Bedingungen immer wieder auf ziehende Gewitter reagieren musste und meine Regenhose an- und auszuziehen hatte, wollte ich eine andere Strategie ausprobieren.
Bei meinem Outdoor-Ausrüster in Basel entdeckte ich eine strapazierfähige Wanderhose, die speziell für skandinavische Verhältnisse konzipiert wurde. Also im Gegensatz zu meiner extrem leichten Hose auch vorübergehende, nicht zu lange Niederschlagsperioden ohne zusätzliche Regenhose überstehen sollte. Um daneben die gravierenden Fußprobleme infolge mangelnder Belüftung in meinen halbhohen Trailrunning-Schuhen abzustellen, wagte ich wieder den Einsatz meiner leichten Wanderschuhe – zwar mit Gorotex-Membran, aber sicherlich nicht geeignet, wie im Vorjahr durch knöcheltiefen Schlamm zu waten. Dafür ließen sie mehr Luft an die Füße, gerade wenn sie im oberen Bereich nicht zu eng geschnürt wurden. Bereits einige Wochen vor dem Start begann ich, die Schuhe regelmäßig zu imprägnieren, weil mein Vertrauen in die Gorotex-Membran doch recht gering war.
Am Rennsteig-Beginn sah ich, dass man etwas größere Kiesel als in den Vorjahren bereit gelegt hatte, um sie der Tradition gemäß nach Blankenstein zu tragen und dort in die Saale zu werfen. So hätte ich weniger Mühe den Stein am Ziel aus den Tiefen des Rucksacks hervor zu holen!
Das Wetter wie gemacht für einen Test meiner neuen Ausrüstungskombination – Nieselregen und recht kühl, fast wie in Skandinavien.
Routiniert näherte ich mich dem ersten Höhepunkt meiner Wanderung, dem Gipfel des Großen Inselsbergs. Regen und Nebel beim Aufstieg ließen für die kommende Nacht in noch etwas größeren Höhen ähnliche Verhältnisse erwarten.
Auf dem steilen Abstieg vom Großen Inselsberg war auf den rutschigen Stufen besondere Vorsicht geboten. Das Wetter zeigt wenig Änderung und ich trottete im Dauergrau auch an dem Soldatengrab in der Nähe der Rastbänke bei der Tanzbuche vorbei, an dem ich sonst immer kurz verweilte.
Weiter ging es in die erste Nacht, die diesmal gefühlt noch früher einbrach, als es der Jahreszeit nach geschehen sollte. Immerhin erreichte ich noch ohne künstliches Licht die Hütte nach dem kilometerlangen Anstieg zum Sperrhügel.
Dann noch eine Premiere: ich probierte meine neue, nicht ganz billige Stirnlampe aus. Mit hoher Lichtstärke und stufenloser Verstellbarkeit sollte sie mir gerade bei Nebel und Nieselregen gute Dienste leisten.
Wie üblich schien der recht eintönige Weg bis zu meiner nächsten Pausenstation bei der Grenzadler-Kaserne in Oberhof kein Ende zu nehmen. Angekommen wollte ich mich sogleich für die dreiviertelstündige Ruhepause einrichten. Also unter die Regenjacke, die ich praktisch schon den gesamten Tag getragen hatte, den Funktionspulli ziehen und in den Alusack schlüpfen. Kaum zur Ruhe gekommen, bemerkte ich die feuchte Kälte um mich herum und entschied, meine Stiefel nicht auszuziehen. Trotzdem kam ich im Alusack nicht zur Ruhe, musste mich auf dem schmalen Tischbrett, dass mir als hartes Bett diente, dauernd bewegen, um nicht stärker zu frieren.
Wenig erholt machte ich mich wieder auf den Weg in die diesige Nacht, auf steinig-schlammigen Wegen hinauf zum Großen Beerberg oberhalb von Suhl. Nur einige Lichter waren erkennbar und ich rastete einige Minuten und versuchte, den Eindruck mit einem Foto einzufangen.
Auch am nächsten Morgen sah das Wetter zunächst unverändert aus. Grauer Himmel, meist Nieselregen, begleiteten mich weiter und zusehends schmerzte mich der untere, linke Rückenbereich. Ich sah dies als Folge der relativen Unterkühlung und dem unbequemen Nachtlager vor Oberhof.
Hinter Neustadt auf dem Weg Richtung Masserberg nahmen die Schmerzen zu, während ironischerweise der Himmel aufklarte und besseres Wetter für die nächsten Stunden versprach. Die Einnahme einer Schmerztablette hatte die Beschwerden eher verstärkt. Kurz vor Beginn des langen, durch Hohlwege führenden Aufstieg zum Fehrenberg auf der sogenannten Schwalbenhauptwiese konnte ich mich nur noch humpelnd fortbewegen. Immer längere Pausen in immer kürzeren Abständen waren schon während der letzten Kilometer nötig gewesen, aber jetzt schien es nicht mehr weiter zu gehen.
Noch nie hatte ich auf einer Rennsteig-Wanderung derartige Schmerzen gehabt. Und ich wurde unsicher: war es der Rücken oder vielleicht doch die Nieren? Ich holte mir Rat bei einem Telefongespräch mit der Familie. Eigentlich war die Entscheidung gefallen – ich würde abbrechen. Zum Glück befand sich in der Nähe eine Bushaltestelle und auf die nächste Abfahrt würde ich nur eine halbe Stunde warten müssen.
Doch ich wollte mich noch nicht geschlagen geben. Die längere Pause, das Telefonat, die Sicherheit, einen Bus nehmen zu können, bewirkten, dass ich es noch einmal versuchen wollte. Vor mir lag der dreiteilige Hohlweg hinauf zum Fehrenberg, einer der schwierigsten Abschnitte des Rennsteigs. Merkwürdigerweise erreichte ich relativ schmerzfrei die kleine Hütte am Ausgang des dritten Hohlwegs.
Der folgende, eher leichte und etwas abschüssige Weg hinein nach Masserberg wurde wieder zur Prüfung. Stechende Schmerzen im Rückenbereich ließen nur noch eine langsame Fortbewegung in geneigter Körperhaltung zu. Fast mit letzter Kraft erreichte ich die Durchgangsstraße des Ortes. Hier befand sich eine Haltestelle, sogar für mehrere Buslinien. Um 13:30 am zweiten Tag war die Wanderung nach fast genau 100 Kilometern und ziemlich genau 30 Stunden für mich vorbei und ich fuhr nach Suhl. Von dort erreichte ich noch am selben Tag per Bahn Basel.
Schon im Zug grübelte ich über den Grund der Beschwerden. Sicher, es war eine unbequeme und selbst für die Jahreszeit kühle Nacht gewesen. Aber derartiges hatte ich am Rennsteig bereits mehrmals erlebt, ohne diese schlimmen Folgen. Was war diesmal anders gewesen? Da fiel mir ein, dass ich zum ersten Mal in meinem Trinkwasser isotonische Brausetabletten aufgelöst hatte, allerdings in geringerer als der empfohlenen Konzentration. Sonst hatte ich immer Mineralsalztabletten genutzt. Besonders die Magnesium-Konzentration war in diesen viel höher. Ich wusste, dass ich gerade bei Magnesium offenbar einen vergleichsweise hohen Bedarf habe. Auch ohne direkten Bezug zu Ausdauersport hatte ich in der Vergangenheit häufiger schmerzhafte Wadenkrämpfe bekommen, wenn ich meine tägliche Zusatzeinnahme von Magnesium vergessen oder reduziert hatte. Es ließ sich nicht zweifelsfrei belegen, dass hier ein Zusammenhang bestanden hat, aber ich nahm mir vor, beim nächsten Mal auf eine ausreichende Versorgung mit Magnesium zu achten.
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